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1955: Maschinenbau an der Abendfachschule


Evamaria Voit - Einzige Studentin an der Ingenieurschule

Im Jahre 1910 wurde am "Technikum" in Hamburg das "Technische Abendvorlesungswesen" eingerichtet, als "Fortbildungswesen für bereits in der Praxis stehende Techniker". Die "Technische Abendfachschule", wie sie später hieß, wurde so zu einer gern genutzten Chance, parallel zur beruflichen Arbeit seinen Abschluss als Ingenieur zu machen.

Evamaria Voit geb. Schmidt, eine der ersten Frauen in der Ingenieurausbildung in Hamburg, erinnert sich:

"Ich begann mit dem ersten Semester im Jahre 1955. Ein mir wohlgesonnener Studienrat der Berufsfachschule, die ich vorher besucht hatte, verwendete sich für meine Aufnahme bei Herrn Krone, dem Direktor der damaligen "Ingenieurschule der Freien und Hansestadt Hamburg, Abteilung Technische Abendfachschule". Herrn Krone war sehr freundlich und meinte: "Wir können es ja mal versuchen!" So begann ich voller Freude mein Studium in der Fachrichtung "Allgemeiner Maschinenbau".

Es stellte sich heraus, dass ich die einzige Studentin auf der ganzen Ingenieurschule war.

Meine Kommilitonen und ich arbeiteten tagsüber in Hamburger Firmen, ich war z.B. erst bei den Phoenix-Gummiwerken, dann bei Philips tätig. Um 17.40 Uhr begann der Unterricht am Berliner Tor. Diese Zeit konnte man gut einrichten, denn Büro- und Werkstattschluss war damals um 17.00 Uhr. Die Vorlesungen und praktischen Unterrichtsstunden dauerten bis 21.00 Uhr. Danach kam jeder noch gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause. Ein Auto war damals eine Seltenheit, einige aus dem Semester hatten eine Vespa oder eine Lambretta, einige wenige Dozenten hatten ein Auto.

Im Erdgeschoss der Ingenieurschule gab es ein Büro, in dem die Sekretärin Fräulein Käselau ihr Domizil hatte. Dort mußten wir auch am Anfang des Semesters eine Semestergebühr von 140 oder 150 DM bezahlen. Die Toilette, die eigentlich für Frl. Käselau bestimmt war, durfte nun auch ich benutzen. Sie lag allerdings im Erdgeschoss, und wenn man im 2. Stock seinen Unterichtsraum hatte und nichts versäumen wollte, dann war der Weg zum Erdgeschoss sehr hinderlich. Aber da wir ja alle gut Freund miteinander waren, kam einer aus dem Semester mit zum Herrenklo, prüfte, ob niemand drin war, und dann standen ein oder zwei von uns als Wache vor der Tür.

Evamaria Voit,
1957 beim "Bergfest"

Die Dozenten kamen ausgesprochen gerne in unser Semester, weil bei uns so ein toller kameradschaftlicher Ton herrschte. Unsere Lieblingsdozenten waren unbestritten Dr. Rattay und Herr Lattermann. Zu Semesterschluss gingen wir alle mit Dr. Rattay in ein Tanzcafe am Steindamm. Dort saßen wir an einem riesigen Tisch zusammen, und einer der Studienfreunde mußte immer aufstehen, um mit mir zu tanzen, während Dr. Rattay am Tisch "Herrenwitze" erzählte. Diese Witze waren bei den jungen Männern sehr beliebt. Sie bogen sich vor Lachen. Aber mir taten zum Schluss immer die Beine weh vom andauernden Tanzen.

Die Abendschule war viermal in der Woche. Ein Abend und das Wochenende waren frei, da mußten wir viele Hausaufgaben machen, auch Zeichnungen natürlich. Und es gab damals in Hamburg nicht zu jeder Zeit elektrischen Strom, weil die Stromversorgung noch nicht völlig wieder aufgebaut worden war nach Kriegsende. Wenn man dann abends zu Hause für die Schule arbeiten mußte, behalf man sich mit einer selbstgebastelten Karbid-Lampe. Leider prustete und spuckte eine solche Lampe öfters, und manchmal wurde eine mühsam gemachte Zeichnung dadurch verdorben.

Nach 6 Semestern wurde unsere Studentengruppe geteilt: Die einen machten nach 10 Semestern (doppelte Semesterzahl gegenüber dem Tagesstudium) das Examen als Ing. grad., die anderen machten nach 8 Semestern das Examen als Ingenieur. In der freien Wirtschaft gab es danach keine Unterschiede bezüglich Gehalt, wohl aber bei öffentlichen Dienststellen. Ich durfte leider nur 8 Semester studieren, weil ich nicht genügend Werkstattpraxis nachweisen konnte. Ich kam ja von der Berufsfachschule und hatte keine komplette Werkstattlehre absolviert.

1959 machte ich mein Examen, damals noch als Evamaria Schmidt, und bald darauf heiratete ich. Den Beruf, als Ingenieurin, habe ich jedoch noch sehr lange ausgeübt."

Evamaria Voit (2005)