Ing100

1965: Unterrichtsreaktor SUR-100


Walter Kaspar-Sickermann -
Meine Erinnerungen an das Kerntechnik-Labor

Als am 15.01.1965 um 12:23 Uhr der Siemens-Unterrichtsreaktor der Ingenieurschule Hamburg zum ersten Mal kritisch wurde, war man stolz darauf, die modernste Technik im Hause zu haben. Die Kernenergie war damals eine Zukunftshoffnung für alle. Ich durfte als junger Dozent von Anfang an dabei sein.

Der SUR-100 war nicht zur Erzeugung von Strom oder für die Forschung gedacht, sondern ausschließlich für die Lehre. Er war in seinen physikalischen Funktionen ein echter Kernreaktor, hatte aber die sehr geringe Leistung von nur 100 mW. Diese Leistung ist so klein, dass im Betrieb nicht einmal eine Erwärmung messbar war. Daher war auch kein Kühlkreislauf nötig. Die Spaltzone bestand aus übereinandergestapelten Platten aus einer homogenen Mischung von Polyethylen und Uranoxid U3O8 mit einer Anreicherung von 20% U235.

Zum Labor gehörten auch Arbeitsplätze zur Strahlungsmesstechnik.

Meine Erinnerungen an diese 30 Jahre müssen in der gebotenen Kürze natürlich unvollständig sein.

Dass Deutschland schon einmal ein nuklear angetriebenes Handelsschiff hatte, wird heute weitgehend unbekannt sein. Die NS "Otto Hahn" hat in den Jahren 1968 - 1978 auf 126 Reisen 642.000 Seemeilen zurückgelegt. An unserem Reaktor hat damals die erste Mannschaft einen Teil ihrer Ausbildung erhalten.

Im "allgemeinen Maschinenbau" wurden die Studenten mit den Grundlagen der Kerntechnik vertraut gemacht. Dazu gehörten auch Vorführungen des Reaktors mit Anfahr- und Laständerungsversuchen.

Die Studenten aus der Fachrichtung "Apparatebau und Kerntechnik" führten ihre Versuche am Reaktor selbst durch, natürlich in Anwesenheit eines Verantwortlichen. Hatte ich in den ersten Jahren beim ersten Anfahren des Reaktors den Studenten noch jeden Schritt einzeln erklärt und vorgeschrieben, so bin ich später dazu übergegangen, ihnen eine Beschreibung in die Hand zu drücken und sie aufzufordern, selbst zu starten. Der Reaktor brachte den Studenten die Materie viel besser bei als ich das konnte: er schaltete sich jedes Mal ab, wenn er falsch bedient wurde. Und das haben sie sich ganz schnell gemerkt.

Soweit Studien- und Diplomarbeiten im Kerntechniklabor durchgeführt wurden, betrafen sie Sicherheit und Strahlenschutz, Aktivierungsanalysen oder auch Messungen an Regelplatten. Andere Aufgaben konnten im Kernkraftwerk Krümmel und bei der GKSS praxisnah gestellt werden.



Foto: aus einem Spiegel-Artikel vom 6.10.1969

Tschernobyl war eine bittere Erfahrung für mich, ich hätte besser reagieren müssen. Von der Kernphysik und der Technik her verstanden wir, was passiert war. Die Strahlenbiologie und die Messung sehr kleiner Aktivitäten dagegen war nicht unser Arbeits- und Wissensgebiet. Wir wollten daher nicht in den dissonanten Chor wirklicher und selbsternannter Fachleute einfallen und hielten uns mit Äußerungen zurück. Heute würde ich in einer ähnlichen Situation anbieten, über das wenige, was ich wirklich weiß, auch öffentlich zu informieren.

Danach haben wir für das Kerntechniklabor einen Halbleiterdetektor beschafft, mit dem man kleinste Aktivitäten messen kann. Wir Mitarbeiter und die Studenten haben eine Menge dabei gelernt und ich bin froh, dass es darüber hinaus keinen ernsthaften Einsatz für diesen Messplatz gab.

In späteren Jahren konnten unsere Studenten zusätzlich in unserem Labor den Fachkundenachweis zum Strahlenschutzbeauftragten erlangen.

Es kamen die Jahre, da Sabotage oder gar Diebstahl von Kernbrennstoff nicht mehr ausgeschlossen werden konnten. Unser Reaktor war von Freitag bis Montag ohne jede besondere Bewachung. Daher beantragte ich als verantwortlicher Laborleiter eine Notrufanlage mit direkter Leitung zur Polizei. Das kostet natürlich Geld. Aus jeder Instanz, die an der Genehmigung beteiligt war, rief man mich an, ob das denn wirklich nötig sei. Meine Antwort war: "Eigentlich nicht. Ich sehe in Wirklichkeit gar keine Gefahr. Aber stellen Sie sich einmal vor, jemand bricht die Tür auf und legt einen Zettel auf das Schaltpult >ICH BIN DAGEWESEN<. Und dann lesen Sie am nächsten Tag die Bild-Zeitung." Die Genehmigung ging glatt durch.

Als es nur noch wenige Studenten gab, die die inzwischen unbeliebte Kerntechnik studierten, als der Fachbereich Anstalten machte, das Fach zu streichen und das Labor zu schließen, merkte die Umweltbehörde plötzlich, dass es für den Reaktor erst eine vorläufige Betriebsgenehmigung gab. Schlimmer noch: Wir hatten in unserem Labor eine lose Brennstoffplatte als Anschauungs- und Unterrichtmaterial, die zwar bei den Kontrollbehörden sowohl in Wien bei der IAEO als auch in Luxemburg bei EURATOM registriert war und bei jeder Inspektion vorgelegt werden musste. Nur die Hamburger hatten sie damals nicht in die vorläufige Genehmigung geschrieben. Schon fiel das Wort "illegal". Das Amt hat sich dann aber ganz schnell beruhigt, als ich nachweisen konnte (gelobt seien alle Archive!), dass der Fehler bei der damaligen Genehmigungsbehörde gelegen hatte.

Nun musste ich auf meine letzten Tage im Amt noch einen komplett neuen umfangreichen Sicherheitsbericht schreiben und verhandeln. Am 13.12.1990 erhielt der Reaktor endlich seine Betriebsgenehmigung.

Mit meinem Ausscheiden aus dem Dienst am Ende des SS92 verschwanden auch alle Lehrveranstaltungen auf kerntechnischem Gebiet.

Nun gab es nur noch einen, der sich um den Reaktor kümmern musste, das war Herr Storz. Da eine Betriebsgenehmigung vorlag, musste der Reaktor weiter betriebsbereit gehalten werden, der TÜV kam und prüfte, Berichte gingen weiter an EURATOM und IAEO und die Notrufanlage blieb auf Sendung zur Polizei. Das alles kostete auch Geld.



Um einen Kernreaktor stillzulegen, bedarf es -wie bei der Inbetriebnahme- eines umfangreichen Genehmigungsverfahrens. Durch eine gute Zusammenarbeit aller Beteiligten konnte aber der Aufwand klein gehalten werden.

Der Abriss erfolgte 1999. Die Präsidialverwaltung meldete voller Stolz: "Einziges Kernkraftwerk in Hamburg wird abgebaut"

Ich möchte diesen Bericht nicht abschließen, ohne meine Kollegen im Kerntechniklabor zu nennen, denen ich über die Jahre hinweg verbunden war. Wir waren ein gutes Team:

Die Herren Dr. Zeyns und Dr. Reincke haben das Labor aufgebaut und waren vor mir Laborleiter. Herr Storz war von Anfang an bis zum Ende als wissenschaftlicher Mitarbeiter dabei. Herr Jürgen Meyer, heute ist er im Physiklabor tätig, war zuerst einer unserer Studenten und dann der zweite wissenschaftliche Mitarbeiter, an den ich mich auch gerne erinnere. Unsere Meister, Herr Könnecker und nach ihm Herr Beckmann, haben den Betrieb mit ihren Ideen und ihrer Handwerkskunst am Laufen gehalten.

Müßig zu diskutieren, ob es sinnvoll oder gar nötig war, ein hochwertiges, völlig intaktes, durchaus heutigen Anforderungen entsprechendes Gerät zu zerstören.

Meine Sorge gilt viel mehr einer Entwicklung in unserem Land, in der die Förderung der unbestreitbar wichtigen regenerativen Energien Vorrang hat vor der Sicherung einer störungsfreien und bezahlbaren Grundversorgung.

SUR 100 WFHH - Siemens-Unterrichtsreaktor
Kernenergie, regenerative Energien und damit zusammenhängende Fragen